Wenige Tage vor Beginn der Weltmeisterschaft und mit steigenden Temperaturen beginnt die Euphorie auch hierzulande so langsam zu steigen. Jogi Löws Kaderbekanntgabe ist längst ein nationales Großereignis, das tagelangen Diskussionsstoff erzeugt. Rund um Sandro Wagner und Manuel Neuer sorgen auch Ilkay Gündogan und Mesut Özil für Aufruhr. Längst gibt es beim Bäcker wieder WM-Brötchen und im Supermarkt Fahnen, Lippenstift, Feuerzeuge und eigentlich auch sonst fast alles käuflich zu Erwerbende in schwarz-rot-goldenen Farben. Was dabei fast schon untergeht ist die mit Abstand wichtigste Frage des Sommers: Wer wird Weltmeister?
Wir Deutschen, so viel ist klar, sind als Titelverteidiger die Gejagten und haben uns in den vergangenen Jahren auf dem Platz so einige sportliche Rivalen gemacht. Dass mit den Niederlanden und Italien zwei der interessantesten und attraktivsten Gegner der vergangenen Jahrzehnte gar nicht erst mit dabei sind, ist einerseits sehr schade, andererseits aber auch belustigend – Schadenfreude ist schließlich immer noch die größte Freude. Und mal ehrlich: In einem engen Halbfinale, in dem es um alles geht, will doch niemand auf der Welt wirklich auf Italien treffen.
Eine Rechnung mit uns offen hat definitiv Argentinien, das vor seiner wohl letzten Chance steht, mit Lionel Messi, dem vielleicht besten Fußballspieler aller Zeiten, einen WM-Titel zu gewinnen. Im Gegensatz zu Christoph Kramer können sich die „Gauchos“ garantiert noch sehr gut an die Finalniederlage von 2014 erinnern und werden mit aller Macht nach Rache streben. Rache ist auch ein gutes Stichwort für die Brasilianer. Denn den Moment, als Deutschland mit diesem epischen 7:1-Sieg eine gefühlte brasilianische Staatskrise auslöste, würden die Südamerikaner am liebsten aus ihrem Gedächtnis löschen. Wie könnte das besser klappen als mit einem rauschenden Sieg ausgerechnet gegen die Deutschen?
Als gar nicht so geheimer Favorit gelten hingegen die Franzosen, die mit einem feinen Kader bereit für den großen Wurf zu sein scheinen. Und ja, auch sie haben nach dem Viertelfinal-Aus von 2014 noch eine offene Rechnung mit Deutschland. Bei der Europameisterschaft 2016 war die „Équipe Tricolore“ jedenfalls bereits zu stark für uns.
Herausragend besetzt ist einmal mehr auch Spanien, auch die belgische Auswahl muss sich weltweit vor niemandem verste-cken. Bleiben noch die Engländer, die es jedes Mal aufs Neue mit großen Hoffnungen versuchen, aber auch jede Mal aufs Neue mit großer Enttäuschung scheitern.
Deutschland hat also viele Jäger. Wie die Mannschaft, aus deren Weltmeisterkader von 2014 nur noch neun Spieler übrig geblieben sind, mit dieser Rolle umgeht, wird hochspannend. Oder vielleicht auch nicht, wenn man den legendären resignierenden Worten des englischen Ex-Nationalspielers und Fußballexperten Gary Lineker folgt: „Fußball ist ein einfaches Spiel: 22 Männer jagen 90 Minuten lang einem Ball nach und am Ende gewinnen die Deutschen.“
Hoffen wir also, dass der Mann einmal mehr Recht behält.
Christos Pasvantis