Es sind nicht immer die Augen, die den Blick schärfen für das Wesentliche: Diese Erkenntnis machen sich in diesem Herbst zwei Bücher zunutze, die spannende Krimikost versprechen. In Lukas Erlers Thriller „Auge um Auge“ ist es der Kunsthistoriker Cornelius Teerjong, der nach der frühen, einer
Erbkrankheit geschuldeten Erblindung seine übrigen Wahrnehmungsmöglichkeiten extrem verfeinert hat, was ihm gegenüber sehenden Menschen einen deutlichen Erkenntnisvorsprung gewährt. Bei dem Finnen Antti Tuomainen („Die letzten Meter bis zum Friedhof“) ist es das Wissen des Ich-Erzählers um den unmittelbar bevorstehenden eigenen Tod, der seine Sinne sensibilisiert und ihm eine neue Wahrnehmung seiner Umgebung ermöglicht.
Lukas Erlers Krimi beginnt auf der „documenta“ in Kassel. Dort ist Teerjong mit dem Kameramann Henk de Byl verabredet. Aber bevor es zum Treffen der beiden kommt, wird de Byl ermordet und verstümmelt: Ihm wurden beide Augenlider(!) abgeschnitten. Teerjong und seine Freundin, die Journalistin Jenny Urban, haben den Verdacht, dass die Kriminalpolizei wenig Ehrgeiz in die Aufklärung setzt, möglicherweise, um nicht das öffentliche ‚documenta‘-Interesse zu beeinträchtigen. In der Tat geraten die Ermittlungen ins Stocken und nehmen erst geraume Zeit später wieder Fahrt auf, als durch einen eher zufälligen Datenabgleich mit den niederländischen Behörden klar wird, dass unmittelbar nach dem Mord an de Byl in Rotterdam ein zweiter Mann umgebracht und auf gleich Weise verstümmelt wurde. Vieles spricht dafür, dass das alles andere als Zufall war...
Dass finnische (Krimi-)Autoren einen ausgeprägten Sinn für makabre Geschichten und schrägen Humor haben, hat sich auch bei Krimifans in Deutschland mittlerweile herumgesprochen. Antti Tuomainens Roman liefert dafür einen weiteren eindrucksvollen Beweis. Jaako, Ende 30, der Ich-Erzähler des Buches, erfährt von seinem Arzt, dass er systematisch vergiftet wurde und nur noch wenige Wochen zu Leben hat. Wenn schon sterben, dann wenigstens mit dem Wissen, wem er das zu verdanken hat, beschließt Jaako. Der hat mit seiner Frau ein blühendes Unternehmen mit Matsutake-Pilzen aufgebaut, die in den finnischen Wäldern hervorragend wachsen und für die japanische Kunden bereitwillig viel Geld auf den Tisch legen. Lange hatten die beiden ein Monopol, jetzt aber haben sich drei undurchsichtige Brüder in der Nachbarschaft angesiedelt, die ebenfalls mit den Pilzen handeln wollen. Stecken sie hinter der Vergiftung, oder eher seine eigene Frau, die Jaako in flagranti mit einem Mitarbeiter erwischt?
Lukas Erler wie Antti Tuomainen haben ebenso eigenwillige wie kantige Protagonisten geschaffen, an deren Seite die Leser auf verschlungenen Pfaden durch eine beklemmende, skurril-abgedrehte Geschichte geführt werden. In beiden Fällen ist feinstes Lesevergnügen und Hochspannung garantiert.
Rita Mielke
Husch Josten: Land sehen. München/Berlin: Berlin Verlag, 2018. 238 S., 20,- Euro
Lukas Erler: Auge um Auge. München: btb. 2018. 316 S., 10,00 Euro