Dies ist eine Geschichte, wie sie vielleicht nur ein französischer Autor schreiben kann: Sie erzählt von Pierre Geithner, Leiter des Fachbereichs Musik am Pariser Konservatorium, und von Mathieu Malinski, einem jungen Mann aus der Pariser Vorstadt, kleinkriminell, aus schwierigen familiären Verhältnissen stammend – und hoch musikalisch. Wann immer sich die Gelegenheit bietet, setzt Mathieu sich an das Piano, das auf dem Vorplatz des Gare du Nord steht und überlässt sich den Klängen des Spiels. Dort hört Pierre ihn zufällig eines Tages spielen – und erkennt sofort die außergewöhnliche Begabung des Jungen. Dennoch muss noch einige Zeit ins Land gehen, ehe es ihm gelingt, Mathieu ans Konservatorium zu holen und dort der besten Klavierlehrerin anzuvertrauen. Denn Mathieu ist störrisch und stolz, möchte keine Vorzugsbehandlung und tut sich schwer mit dieser ihm so fremden akademischen Welt. Dabei handelt Pierre keineswegs völlig uneigennützig. Denn er selbst steckt in einer tiefen persönlichen Krise und setzt zumindest unbewusst auf die „heilende Kraft“ seiner väterlichen Bemühungen um Mathieu. Als Pierre beschließt, dass Mathieu das Konservatorium beim renommiertesten französischen Musikwettbewerb, dem „Grand Prix d’Excellence“, vertreten und dabei Rachmaninoff spielen soll, beginnt ein Wettkampf gegen die Zeit: Denn Rachmaninoff zu spielen, stellt selbst erfahrene Pianisten vor extreme Herausforderungen. Und Mathieu kann nicht einmal „vom Blatt”, sondern nur nach Gehör spielen. Außerdem zählt Disziplin nicht unbedingt zu seinen Stärken. Und viel Zeit bleibt auch nicht: Denn zur Vorbereitung bleiben gerade ein paar Wochen Zeit.
Gabriel Katz erzählt in seinem Roman die Geschichte einer Freundschaft über die Grenzen von Alter und sozialer Zugehörigkeit hinweg. Er gewährt Einblicke in gesellschaftliche Milieus, die in ihrer Gegensätzlichkeit schwer vereinbar scheinen und ohne Frage für so manche politische Schieflage in Frankreich verantwortlich sind. Und er erzählt eine Geschichte der alle Grenzen und Gegensätzlichkeiten sprengenden Kraft der Musik. „In keinem anderen Buch steckt so viel von mir“, hat Gabriel Katz zu diesem – seinem ersten – literarischen Roman gesagt. Und egal, ob er über Bach oder Rachmaninoff schreibt: Er schafft es, seine Faszination unmittelbar auf Leserin und Leser zu übertragen.
In Frankreich ist das Buch zeitgleich mit einer filmischen Adaption erschienen, und beide waren enorm erfolgreich. Für deutsche Leserinnen und Leser ist das Thema des Romans nicht unbedingt neu. Aber Gabriel Katz schafft es durch seine melodiöse Sprache, durch seine Formulierungskunst und seinen erzählerischen Charme, alle Klippen allzu seichter Unterhaltung geschickt zu umgehen und eine Geschichte zu entwickeln, der man bereitwillig und mit Spannung und Vergnügen bis zum Ende folgen mag.
Rita Mielke
Gabriel Katz: Der Klavierspieler vom Gare du Nord. Frankfurt: S. Fischer. 2019. 352 S., 20 Euro