Ein Testament ist grundsätzlich auch wirksam, wenn es auf einem ungewöhnlichen Material (hier: ein Notizzettel minderer Qualität im Format 10 cm x 7 cm) errichtet wurde. In einem solchen Fall müssen alle auch außerhalb der Urkunde liegenden Umstände berücksichtigt werden, um den Testierwillen zu ermitteln. Erhebliches Gewicht komme dabei dem Umstand zu, dass der Erblasser auch frühere Testamente auf ungewöhnlichem Papier errichtet hat.
Das ist das Ergebnis eines Rechtsstreits vor dem Oberlandesgericht (OLG) München. Dort war der Erblasser ledig und kinderlos verstorben. Er hinterließ eine Vielzahl von handschriftlichen Testamenten, in denen er überwiegend seine Schwester S zur Erbin bestimmte. Während eines Krankenhausaufenthalts verfasste der Erblasser ein Schriftstück auf der Rückseite eines Notizzettels mit den Maßen 10 cm x 7 cm. Der Zettel weist an der Oberkante mittig einen Einriss von ca. 3 cm Länge auf. Auf dem Zettel stand u.a., dass alle Geschwister zu gleichen Teilen erben sollen. Der Zettel ist mit Datum versehen und mit dem Namen des Erblassers unterschrieben. Die Schwester S ist der Ansicht, es handele sich nicht um ein Testament, sondern um einen Entwurf. Das Gericht gab jedoch den Geschwistern des Erblassers recht. Die Erbfolge nach dem Erblasser richtet sich nach den Regelungen auf dem Zettel. Der Erblasser habe das Schriftstück mit Testierwillen errichtet und auch nicht durch Vernichtung widerrufen.
Zur Ermittlung des Testierwillens ist auf alle erheblichen Umstände zurückzugreifen. Die Rechtsprechung hat als Regel der Lebenserfahrung formuliert: Es besteht regelmäßig kein Grund, der Frage nachzugehen, ob lediglich ein Entwurf vorliegt, wenn ein formgerecht abgefasstes Testament existiert, das inhaltlich vollständig ist. Auch in einem wenige Zentimeter großen handschriftlich beschriebenen Notizzettel kann grundsätzlich ein wirksames Testament liegen. Dies mag ungewöhnlich erscheinen. Allerdings sei hier zu berücksichtigen, dass sich der Erblasser zur Zeit der Testamentserrichtung im Krankenhaus befand und möglicherweise nur auf diese Notizzettel Zugriff hatte. Darüber hinaus hatte der Erblasser bereits in der Vergangenheit Testamente auf „Werbepapier“ niedergeschrieben. Weiter wurde das Testament aus Sicht des Gerichts auch nicht vom Erblasser durch Vernichtung widerrufen. Für den Widerruf einer Verfügung von Todes wegen genügt zwar z.B. ein Zerreißen. In diesem Fall wies das Testament zwar einen mittigen Riss auf. Dies sei jedoch nicht geeignet, von einem Widerruf auszugehen.
Quelle - OLG München, Beschlüsse vom 28.1.2020, 31 Wx 229/19 und 31 Wx 230/19
Ralf Frommen · Rechtsanwalt · Drususallee 84 · 41460 Neuss · Tel. 02131.277123