Leonie Swann mag ‚ungewöhnliche‘ Ermittler, Schafe zum Beispiel („Glennkill“, „Garou“) oder auch einen Graupapagei („Gray“). Auch in ihrem neuesten Krimi gibt es Tiere, die Schildkröte Hettie zum Beispiel und Brexit, den Wolfshund. Aber die eigentlichen Detektive sind die Bewohner von Sunset Hall – allen voran Agnes Sharp, die das Haus ihrer Kindheit irgendwo im ländlichen England für Bernadette, Edwina, Charlie, Marshall und Winston geöffnet und mit ihnen eine muntere Senioren-WG eröffnet hat. Sie sind alle nicht mehr so ganz fit, laborieren an dem einen oder anderen Zipperlein, aber gemeinsam sind sie stark. Und deshalb werden sie aktiv, als in ihrem Umfeld gleich mehrere mysteriöse Morde geschehen und sie selbst zu allem Übel in den Fokus der Polizei geraten. Dass Agnes in ihrem früheren Berufsleben einmal Kommissarin bei der Polizei war, erleichtert die Sache, auch wenn sie immer häufiger von der Sorge geplagt wird, dass ihr Kopf nicht mehr so richtig funktioniert und so manches in der Erinnerung durcheinander gerät … Leonie Swann, die neben Englischer Literatur auch Philosophie und Psychologie studiert hat, beweist in diesem Buch, dass sich Krimispannung durchaus mit Tiefgang verbinden lässt: Denn neben der durchaus spannenden Handlung liegt ihr Augenmerk auf einer zweiten Erzählebene auf den Figuren, älteren Menschen allesamt, ein bisschen eigenwillig, ordentlich dickköpfig, vom Leben gezeichnet und vor allem entschlossen, ihr Leben selbstbestimmt so führen zu wollen, wie es ihnen gefällt, unabhängig vom Urteil ihrer Umgebung und vor allem unabhängig von den Gängelungen eines Pflegeheims. Das ist nicht immer einfach, fordert vielleicht auch Mut (der Tod der Mitbewohnerin Lillith ist ein Thema für sich!) - aber es lohnt! Leonie Swann gelingt in ihrem Krimi etwas eher Seltenes: Sie erzählt mit Witz und Humor, ihre Geschichte kommt leichtfüßig und unterhaltsam daher – und hat doch eine nachdenklich stimmende Botschaft, die Agnes ziemlich zum Schluss des Buches formuliert: „Im Grunde ging es darum, es mit sich selbst auszuhalten, auf kleinstem Raum, selbst dann, wenn alle anderen Dinge sich davon gemacht hatten: Familie und Freunde, Gesundheit, Mobilität, Gedächtnis und Verstand.“ Allein für diesen lebensklugen Satz, der ja keineswegs nur eine Weisheit fürs Alter beinhaltet, lohnt die Lektüre dieses Buches.
Wer Krimis nicht nur wegen brutaler Morde, psychopatischer Täter und finsterer Verwicklungen liest, sondern es auch gern mal heiterer und freundlicher mag, kommt bei Leonie Swann einmal mehr auf seine Kosten! Als Urlaubs-Sommer-Lektüre wärmstens zu empfehlen!
Rita Mielke
Leonie Swann: Mord in Sunset Hall. München: Goldmann. 2020. 448 S., 20,00 €