Wenn sie eines nicht ist und nie war, dann das: Hausfrau. Und doch, so erzählt sie in ihrem neuen Buch, habe sie sich angewöhnt, bei der Einreise in die USA als Beruf „Hausfrau“ anzugeben, weil das eine Frau so wunderbar unverdächtig mache. Doris Dörrie, seit der Filmkomödie „Männer“ (1985) ohne Frage eine der bekanntesten und erfolgreichsten Regisseurinnen, versteht die Kunst des Erzählens, nicht nur in bewegten Bildern, sondern auch in Texten. Davon legt auch der aktuelle Geschichtenband Zeugnis ab. „Die Heldin reist“ – entstanden vor dem Hintergrund einer fast zweijährigen pandemiebedingten Reiseabstinenz der Autorin – nimmt drei frühere Reisen als „Aufhänger“ für Erlebnisse, Eindrücke, Erfahrungen und Geschichten, in denen es allesamt um weibliche Erfahrungen beim Reisen in fremden Kulturen und Weltgegenden geht. Die drei Reiseziele, die das Buch benennt - San Francisco, Marokko, Japan - sind dabei letztlich nicht mehr als „Stichwortgeber“. Der rote Faden des Buches dagegen ist ein uralter, schon aus der Odyssee bekannter Mythos: der des reisenden Helden, der in die Welt hinauszieht, Abenteuer bestreitet, am Ende jedoch, reich an Erfahrung und Weltwissen, als Held nach Hause zurückkehrt. Ein solches Narrativ ist für die Heldin nicht vorgesehen, so Doris Dörries These. Die Frau ist in der Geschichte niemals die Abenteurerin gewesen, ihre Rolle war nie die der Reisenden, sondern derjenigen, die zu Hause bleibt, dort alles richtet und geduldig auf die Heimkehr des Helden wartet – ein Thema im übrigen, das die niederländische Autorin Anna Enquist in ihrem Roman „Letzte Reise“ am Beispiel von Captain James Cook und seiner Frau Elizabeth großartig ausgeführt hat.
Also muss die reisende Frau ihren eigenen Reise-Mythos erschaffen. Und so erzählt Doris Dörrie auf der Grundlage ihrer eigenen Erlebnisse und vieler „gesammelter Geschichten“, was es heute bedeutet, als Frau in der Welt unterwegs zu sein. Sich dem Ungewissen, Fremden auszusetzen, heißt dabei für sie immer auch, den eigenen Ängsten, Abhängigkeiten, Verlusten ins Auge zu sehen. Und so – zumindest - zur Heldin der eigenen Geschichte zu werden.
Das Schöne an diesem Buch ist die Mischung aus Ehrlichkeit, Lebensklugheit, Anteilnahme und Witz, mit der die Autorin ihre Umgebung wie auch sich selbst beobachtet und nicht selten augenzwinkernd beschreibt. Da ist Platz für das Eingeständnis einer jugendlichen Abhängigkeit von einem Mann, der sie einfach nur mies behandelte, ebenso wie die hautnahe Beschreibung von Todesangst bei einem dramatischen Flug. Da erzählt sie von der Reise nach Marrakesch mit einer Freundin, die den Ruhestand nicht ertragen kann, und von Tatsu, der Japanerin, die es einst nach Hannover verschlagen hat und der sie viel später in Japan wiederbegegnet.
Für alle, die unter der erzwungenen Reiseabstinenz der vergangenen zwei Jahre gelitten haben, bietet Doris Dörrie mit ihrem neuen Buch eine anregende Anleitung dazu, wie man in Erinnerungen und Geschichten „Kopfreisen“ unternehmen und dabei nicht nur die Welt, sondern vor allem auch sich selbst ein bisschen besser verstehen lernen kann.
Rita Mielke
Doris Dörrie: Die Heldin reist. Zürich: Diogenes. 2022. 240 S., 22,- Euro