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Urlaubszeit ist Krimizeit: Sich im Strandkorb oder Liegestuhl lesend auf „Verbrecherjagd“ zu begeben, hat einen erheblichen Entspannungsfaktor. Das gilt vor allem dann, wenn die Kriminalromane in Weltgegenden entführen, die man kennt oder schätzt, und die man sich lesend vors innere Auge projizieren kann. Eine kleine Auswahl dessen, was die aktuelle Krimiszene zu bieten hat, stellt Ihnen Rita Mielke hier für Ihre persönliche Urlaubs-Leseplanung vor:
Ian Bray: Klippengrab. 2022. 578 S., 11 Euro
Dass die Lieblingslandschaft Rosamunde Pilchers nicht unbedingt so heil ist, wie es in ihren Romanen scheinen mag, wissen Krimi-Leserinnen und -Leser spätestens seit dem ersten Cornwall-Krimi von Ian Bray, „Klippentod“. Jetzt entführt schon der zweite Fall in den rauen Südwesten Englands. Dort, in dem kleinen Dorf Cadgwith, hat sich der ehemalige Polizist Simon Jenkins niedergelassen und mit seiner Leidenschaft für die Malerei einen Neuanfang in seinem Leben geschafft. Aber die Dämonen der Vergangenheit lassen ihn nicht los, spätestens als im Dorf eine Frau verschwindet und im Nachbarort der Torso einer Toten aufgefunden wird, schlagen alle kriminalistischen Instinkte in ihm Alarm… Auch wenn – oder gerade weil Ian Bray nicht in Cornwall zu Hause ist, sondern nur zu regelmäßigen Besuchen dort weilt (denn hinter dem Pseudonym versteckt sich der Mönchengladbacher Autor Arnold Küsters), gelingt ihm ein atmosphärisch ungeheuer dichter Roman mit intensiven Milieustudien und typischen Charakteren. Da hört man beim Lesen den Wellengang des Meeres und das Brausen des Windes.
Frauke Buchholz: Frostmond. 2021. 288 S., 18 Euro
Der „Transcanada“-Highway im Westen Kanadas führt durch eine Landschaft, deren Weite wir uns hierzulande kaum vorstellen können. Dort entlang liegen zahlreiche Reservate sogenannter „First Nations“-Gruppen, also kanadischer Ureinwohner, die bis heute gesellschaftlich einen schweren Stand haben. Für Mädchen und junge Frauen gibt es keine Möglichkeit, der Enge der Reservate zu entkommen. Wer dennoch wegwill, zum Shoppen oder Feier oder um ein neues Leben zu beginnen, hat nur die Chance, als Anhalterin auf dem Highway mitgenommen zu werden… Mehrere tausend junge Frauen sind in den vergangenen Jahrzehnten verschwunden, die Aufklärungsquote ist mager. Vor diesem Hintergrund erzählt die Aachener Autorin Frauke Buchholz, die geraume Zeit bei den Cree in Kanada gelebt hat, die Geschichte der 15-jährigen Jeannette, die aus ihrem Reservat verschwindet und tot in Montreal aufgefunden wird. Kein leichter Fall für Jean-Baptiste LeRoux und den Profiler Ted Garner: Denn die beiden Weißen stoßen bei ihren Ermittlungen unter den Indigenen auf heftige Ablehnung – zu tief sitzen die aus der Geschichte erwachsenen Verletzungen… Ein hochkarätiger Krimi, der mit perfekt dosierter Spannung in eine uns nahezu völlig unbekannte Welt entführt.
Michel Bergmann: Der Rabbi und der Kommissar. 2021., 288 S., 11 Euro
Rabbi Henry Silberbaum, der der jüdischen Gemeinde im Frankfurter Westend vorsteht, ist nicht unbedingt das, was man sich unter einem frommen Rabbi vorstellen würde. Er liebt sein Rennrad, Kaffee aus seiner schicken Espressomaschine und jüdische Witze – und gegen einen kleinen Flirt mit der Leiterin des Seniorenzentrums hat er auch nichts einzuwenden. Als dann eine alte Dame verstirbt, die ihn kurz zuvor noch besucht hatte, entdeckt Rabbi Silberbaum seinen kriminalistischen Spürsinn und beginnt, auf eigene Faust Ermittlungen auf. Denn er ist überzeugt, dass es bei dem angeblichen Herztod von Ruth Axelrath nicht mit rechten Dingen zuging. Zumal die alte Dame ihm angekündigt hatte, dass sie ihren (zweiten) Ehemann verlassen und zur Tochter nach Israel auswandern wolle, nicht ohne die jüdische Gemeinde mit einer überaus großzügigen Spende zu bedenken… Köstliches Krimivergnügen, gewürzt mit jeder Menge Insider-wissen über jüdischen Alltag und jüdische Gepflogenheiten. Perfekt für alle, die es gern ein bisschen augenzwinkernd mögen!
Hanne Kvandal: 13° Tödlicher Sommer. 2022. 320 S., 10,95 Euro
Spitzbergen – das ist fast schon das Ende der Welt, eine weithin unbekannte Region, die in der ewigen Dunkelheit der Polarnacht ebenso wenig anheimelnd ist wie bei üppigen 13 Grad im Hochsommer, wenn es rund um die Uhr hell bleibt und die Menschen in eine schwer beschreibbare Unruhe versetzt. Hanne Kvandals Spitzbergen-Krimi liefert eindringliche Beschreibungen von Leben und Alltag der Menschen unter den besonderen klimatischen Verhältnissen. Und das eigentliche Krimigeschehen beleuchtet politische und soziale (Miss-)Verhältnisse, die aus der ehemaligen, hauptsächlich von russischen Bergarbeitern besiedelten Region einen Umschlagplatz für Menschenhandel und zudem eine fragwürdige Touristenattraktion machen. Als in der Gefriertruhe eines verlassenen Hotels ein toter Asiat gefunden wird und im nahe gelegenen Longyearbyen ein philippinischer Koch verschwindet, kommt auf den eigentlich pensionierten Kommissar Trond Lie und auf die holländische Hundeschlittenführerin Frida van Nahmen, die eine kluge Assistentin abgibt, eine Menge Arbeit zu… Eine spannende „Abkühlung“ bei 30 Grad im Schatten!
Carlo Feber: Der tote Champagnerpräsident. 350 S., 17,90 Euro
Wo viel Licht, da viel Schatten! Das trifft durchaus auch auf eine so prominente und wegen ihrer großen Tradition so bekannte Region wie die Champagne zu. Hier hat der eigentlich aus der Pfälzer Weinregion stammende Carlo Feber seinen aktuellen Krimi angesiedelt. Und der beginnt quasi mit einem Paukenschlag: Denn ausgerechnet der frisch gekürte Präsident der Winzervereinigung Vigne d’Or wird eines Morgens am Ortsrand seines Heimatdorfes unter mysteriösen Umständen tot aufgefunden. Da er auch politisch einflussreich und bis in allerhöchste Kreise gut vernetzt war, kann man die Aufklärung keinesfalls einem „Wald-und-Wiesen“ Kommissar überlassen. Da muss Cédric Bresson her, der in Paris in aller kürzester Zeit eine grandiose Karriere absolviert, sich dann aber – der Liebe zu einer Winzertochter wegen – in die Champagne zurückgezogen hat. Hilft alles nichts: Jetzt muss er ran, muss ermitteln, alle drängenden Arbeiten auf dem Weingut erledigen und sich auch noch um seine hochschwangere Frau kümmern… Ein anschaulicher Abstecher in eine geschichtsträchtige französische Region, nicht nur für die, die sich gern mit Wein und Sekt und natürlich Champagner befassen mögen…