Was macht ein umtriebiger Circusdirektor, wenn Corona alle Aktivitäten auf Eis legt? Er setzt sich hin und schreibt seine Lebensgeschichte! Bernhard Paul, 1947 als Arbeiterkind in der österreichischen Provinz geboren, hat als Gründer und Direktor des Circus Roncalli eine einzigartige Karriere absolviert. Dass der Weg zum Erfolg für ihn steinig war, dass es nicht nur Lust, sondern auch Last und Mühen bedeutet, den eigenen Träumen zu folgen, all das hat er sich selbst während des Schreibprozesses noch einmal vergegenwärtigt: Das Verfassen der Autobiografie sei für ihn wie eine Art Therapie gewesen, hat er im Interview berichtet, insbesondere mit Blick auf seine Kinderjahre, in denen er sich häufig ausgegrenzt und unverstanden fühlte. „Meine Reise zum Regenbogen“ erzählt von diesem einsamen Kind, das früh schon von der Faszination für den Zirkus erfasst wird, aber viele Umwege braucht – vom Hoch- und Tiefbau-Studium über ein Grafik-Design-Studium bis hin zum Artdirektorsposten in einem österreichischen Magazin – bis er 1975 endlich den Traum einer eigenen fahrenden Circus-Truppe realisieren kann. Mitgründer ist André Heller, aber schon nach kurzer Zeit wird klar, dass die beiden so unterschiedlichen kreativen Köpfe eben auch völlig unterschiedliche Visionen für „ihr“ Circus-Projekt haben. Es kommt zum Streit und zu einer langen hässlichen Auseinandersetzung, die Paul mit hohen Schulden und einer „Rumpftruppe“ von Artisten zurücklässt. Aufgeben jedoch ist für ihn keine Option. Quasi aus der Not wird die Figur geboren, mit der Bernhard Paul selbst die Bretter der Zirkusbühne betritt, der Clown Zippo, der der klassischen Figur des „dummen August“ ein ganz neues Profil verleiht. Mit seinem neuartigen Zirkus, der u.a. auf sämtliche Tiernummern verzichtet, schreibt Bernhard Paul in den kommenden Jahren und Jahrzehnten Weltkarriere, der „schönste Circus der Welt“, wird die New York Times ihm attestieren.
1990 heiratet der Österreicher die aus einer italienischen Circus-Dynastie stammende Artistin Eliana Larible. Die drei gemeinsamen Kinder sind heute längst in die Fußstapfen des Vaters getreten – die eine als Artistin, die andere als „Headhunterin“ für Artisten aus aller Welt, der Sohn als Geschäftsführer des Varieté Apollo in Düsseldorf. Die Internationalität der Roncalli-Truppe ist, so zeigt die Lektüre des Buches, kein Zufall, sondern Ausdruck einer Grundhaltung, die ganz bewusst auf „grenzen-loses“ Miteinander als Voraussetzung unerschöpflicher Kreativität setzt. Bernhard Paul hat rund um seinen Circus – und auf den Spuren des Regenbogens - immer neuen Ideen entwickelt und Projekte kreiert. Davon zu lesen, hat etwas Berührendes und Motivierendes. Lebe deinen Traum, lautet die
Botschaft, oder, mit Pauls Worten: „Wer nicht ein bisschen verrückt ist, ist nicht normal!“
Rita Mielke
Bernhard Paul: Meine Reise zum Regenbogen. Wien: Brandstätter. 2022. 288 S., 26,- Euro