Das kleine Swasiland, im südlichen Afrika gelegen und bis Mitte der 1960er Jahre noch britisches Protektorat, ist Schauplatz eines herausragenden Romans, der in jedem „Weltliteratur“-Kanon vertreten sein sollte. Dessen Autorin, Malla Nunn, ist selbst in Swasiland geboren, lebt heute mit ihrer Familie in Australien und ist hierzulande bislang nur als Krimiautorin bekanntgeworden. In „Ist die Erde hart“ erzählt sie die Geschichte zweier heranwachsender junger Frauen, Adele Joubert und Lottie Diamond, zu der sie autobiografisch durch die Geschichte ihrer Mutter und ihrer Tanten inspiriert wurde. Ort des Geschehens ist ein christliches Internat nur für „Mischlinge“, für Jungen und Mädchen, die in der Regel einen weißen Vater und eine schwarze Mutter haben. Aber Mischling ist noch lange nicht gleich Mischling, so lautet eine der Kernbotschaften dieses aus dem Blickwinkel von Adele erzählten Buches. Vielmehr gibt es eine klare Rangfolge: An der Spitze stehen die Schüler, deren weiße Väter mit den Müttern in beachtlichem Wohlstand zusammenleben, das Schulgeld für ihre Kinder und meist auch großzügige Schulspenden aufbringen können. Auf der zweiten Stufe stehen die Kinder, deren Väter zwar nicht mit den Müttern zusammenleben, weil sie offiziell irgendwo in Südafrika noch eine weiße Familie haben. Aber immerhin gewähren sie ihrer Zweitfamilie ausreichende finanzielle Mittel, um ein sorgloses Leben führen zu können. Ganz unten in der Schulhierarchie rangieren diejenigen, deren Väter sich aus dem Staub gemacht und die Mütter mit der Erziehung der Kinder und deren Versorgung alleingelassen haben.
Diskriminierung – nicht als großes politisches Thema, sondern mitten hineingeholt in den „kleinen“ Alltag der Internatszöglinge – das ist Malla Nunns Thema. Ihr Roman beginnt, als Adele und Lottie und die übrigen Zöglinge nach den Ferien wieder ins Internat zurückkehren und Adele feststellen muss, dass eine neue Schülerin aus sehr wohlhabenden Verhältnissen ihr ihren Platz im Kreis der „führenden“ Schülerinnen streitig gemacht hat. Fortan soll Adele ein Zimmer mit Lottie teilen, einer „aus dem Busch“, deren Mutter kaum in der Lage ist, das Schulgeld aufzubringen – für die pubertierende Sechzehnjährige eine Katastrophe. Wie sich dann im Lauf der kommenden Zeit und ihrer dramatischen Ereignisse ihre feindselige Ablehnung allmählich wandelt, wie Adele Lottie und deren Mut, deren Charakterstärke und Geradlinigkeit bewundern und schätzen lernt, wie sie selbst daran wächst und zu sich selbst und zu echter Freundschaft findet: All das erzählt die Autorin in einer beeindruckend klaren, unaufgeregten Weise, die uns als LeserInnen nicht nur die äußeren, sondern auch die inneren „Spielregeln“ von Rassismus, von Aus- und Abgrenzung hautnah und eindringlich (mit)erleben lässt. Was für ein Segen, dass Adeles Vater ihr ein Buch von Charlotte Brontë geschenkt hat: Über die gemeinsame Lektüre von „Jane Eyre“ finden Adele und Lottie ein Stück weit zueinander: Schließlich muss auch Jane im Roman immer wieder um ihre persönliche Freiheit und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben kämpfen: An ihr und mit ihr wachsen die beiden. Wie es überhaupt bei Malla Nunn insbesondere die weiblichen Figuren sind, die sich nicht begnügen mit dem Gegebenen, die auf neue, bessere Zeiten hoffen und für den Traum eines freien Lebens kämpfen. So ist auch der Titel des Buches zu lesen, den die Autorin einer afrikanischen Redensart entnommen hat: „Ist die Erde hart, tanzen die Frauen.“
Rita Mielke
Malla Nunn: Ist die Erde hart. Hamburg: Argument Verlag. 2022. 304 S., 24,00 €