Von der berühmten Virginia Woolf stammt der Satz: „Man kann nicht gut denken, nicht gut lieben, nicht gut schlafen, wenn man nicht gut gegessen hat.“ Diese Erkenntnis ziert als Motto das lesenswerte Buch der englischen Foodbloggerin Kate Young, die „100 Rezepte aus den schönsten Romanen der Welt“ gesammelt, erprobt und gespickt mit Geschichten rund um die Literatur und das Essen zu einem perfekten (Geschenk-)Buch zusammengestellt hat.
Es ist ja kein Zufall, dass eifrige LeserInnen regelmäßig von einem unstillbaren „Lesehunger“ erfasst werden, der sowohl den Hunger nach immer mehr und immer neuen Büchern meinen kann wie auch den Hunger, der sich beim Lesen früher oder später einstellt – erst recht, wenn auch in den gelesenen Romanen gekocht, gegessen und womöglich ausgiebig getafelt wird.
Sich mit kulinarischem Blick den großen Werken der Weltliteratur zu nähern, vermittelt neue Einsichten darüber, wie viel dort genascht und geschlemmt – und gemeinsame Mahlzeiten als perfekter Rahmen für Kommunikation und Miteinander verstanden werden. Sage mir, was Du und wie Du isst – und ich sage Dir, wer Du bist: Nach diesem Motto dienen Mahlzeiten und der Umgang mit Lebensmitteln immer wieder auch der Charakterisierung literarischer Figuren. Was wäre zum Beispiel Marcel Prousts Swann „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ ohne die „Madeleines“, die eindringliche Kindheitserinnerungen in ihm heraufbeschwören? Und wie bezeichnend sind die italienischen Düfte nach Pizza und Pasta und Kräutern, mit denen Elena Ferrantes neapolitanische Freundinnen groß werden („Meine geniale Freundin“). Nicht zu vergessen die riesige Schokoladentorte in Roald Dahls „Matilda“, die für Theo Torfkopp – ein genial pädagogischer Schachzug des Autors - zum reinsten Martyrium wird, weil er sie ganz allein bis zum letzten Krümel aufessen muss.
Das Schöne und Besondere an Kate Youngs „Little Library Cookbook“ ist, dass die Autorin ihre ganz persönlichen Lese-Geschichten zu allen hundert erwähnten Büchern mit jeder Menge kulinarischem Know-how verbindet. Denn so leidenschaftlich sie liest, so leidenschaftlich kocht sie auch. Und jedes der hundert im Buch präsentierten Rezepte ist notfalls mehrmals durch ihre Küche und ihren Herd gelaufen, bis es am Ende gut – und zeitgemäß – funktionierte. Diesem Umstand verdanken wir als Leserinnen und Leser Rezepte und praktische Tipps, die das Nachkochen einfach machen: Da lernen wir zum Beispiel, dass man einen Pie-Teig, der beim Ausrollen so gern festklebt, zwischen zwei Lagen Backpapier legen sollte, oder wir erfahren, mit welchem Kniff man eine Aubergine perfekt aushöhlen kann.
Kate Young weckt Lese-Hunger – nach den Büchern, von denen sie erzählt, und nach den Rezepten, die sie dazu präsentiert. Das passt perfekt, denn – so C.S. Lewis - „Essen und Lesen sind zwei Genüsse, die einander wunderbar ergänzen.“
Rita Mielke
Kate Young: Little Library Cookbook. 100 Rezepte aus den schönsten Romanen der Welt.
München: Wunderraum. 2019. 320 S., 22,- €