Es war im Paris des Jahres 1911 nicht anders als heute, wenn im Dresdner Grünen Gewölbe ein spektakulärer Raub verübt wird: Als an einem heißen Augustsonntag ausgerechnet Leonardo da Vincis „Mona Lisa“ aus dem Louvre entwendet wurde, erregte das über Wochen und Monate die Gemüter der Menschen in der internationalen Kunstwelt. Wie konnte es angehen, dass eine Kunstsammlung von unschätzbarem Wert so miserabel gesichert war? Und wer konnte ein Interesse daran haben, ein wegen seiner Berühmtheit absolut unverkäufliches Gemälde zu stehlen?
Tom Hillenbrand, bekannt geworden als Autor kulinarischer Kriminalromane, hat diesen spektakulären historischen Fall jetzt zur Grundlage eines Romans gemacht, der mit großer Eindringlichkeit in die schillernde Pariser Atmosphäre am Ende der Belle Epoque entführt. Sein (fiktiver) Kommissar Juhel Lenoir von der Pariser Polizei muss für seine Ermittlungen tief eintauchen in die flirrende Welt der Künstler rund um den Montmartre und in die dekadenten Kreise der „Haute Volée“ mit ihren berüchtigt exzessiven Festen. Er begegnet historischen Persönlichkeiten wie der Tänzerin Isadora Duncan, dem Schriftsteller Guillaume Apollinaire oder dem jungen Maler Pablo Picasso und dem Okkultisten Aleister Crowley, die alle irgendwie in die Ereignisse um den Raub des Gemäldes involviert zu sein scheinen. Er trifft auf den Italiener Vincenzo Perruggia, der als Handwerker im Louvre beschäftigt ist und – historisch wie im Roman - erst spät in den Fokus der Ermittlungen gerät. Und er erlebt, wie die berühmt-berüchtigte „Bonnot“-Bande, aufgeheizt von verqueren politischen Idealen, mit großer Brutalität Paris unsicher macht: Die Bande nutzte eine für damalige Verhältnisse hoch technisierte Ausrüstung wie Repetierbüchsen und Automobile und war der Polizei damit stets um Längen voraus.
Historischer Roman, Kriminalfall, Abenteuergeschichte: Tom Hillenbrand breitet seinen exzellent recherchierten Stoff und die spannende Handlung aus wechselnden Perspektiven vor seinen Lesern aus. Sowohl die Frage nach dem Täter und seinem Tatmotiv als auch die weitere, nicht minder spektakuläre Geschichte um den Verbleib und die „Rückkehr“ der Mona Lisa liefern ihm den roten Faden. Das multikulturelle „Setting“ der französischen Hauptstadt, in der am Vorabend des 1. Weltkriegs Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, aber auch Intellektuelle und politische Fanatiker ihr Glück suchen, gestaltet Tom Hillenbrand so farbig wie ein opulentes Gemälde, das bei jedem Blick neue überraschende Facetten preisgibt. Dass Paris damals der Ort war, „wo sich das 20ste Jahrhundert befand“, wie Gertrude Stein es einmal formuliert hat, erschließt sich dank seiner intensiven Schilderungen unmittelbar. Und die Frage, was von all dem Erzählten historisch verbürgt und was der Fantasie des Autors entsprungen ist, verleiht der Lektüre einen zusätzlichen Reiz. Wie schreibt Tom Hillenbrand so passend in seinem Nachwort: „Alles an diesem Buch ist tatsächlich genau so passiert, abgesehen von den Dingen, die ich mir ausgedacht haben.“
Rita Mielke
Tom Hillenbrand: Die Erfindung des Lächelns. Köln: Kiepenheuer & Witsch. 2023. 504 S., 25,00 €