Kerstin Lange hat mehrere Jahre in Korschenbroich gelebt, ehe sie nach Speyer und später nach Düsseldorf zog. Als Krimiautorin und mit Kurzgeschichten hat sie sich einen Namen gemacht. Jetzt hat sie erstmals einen (historischen) Familienroman verfasst. „Eine leise Ahnung von Glück“ hat zwei Erzählebenen: die historische ist in Nordfrankreich in den 1940er Jahren angesiedelt. Eine zweite Ebene spielt in der Gegenwart, im Jahr 2023 in Düsseldorf. Dort sucht die 39-jährige Louisa für ihren Vater eine Pflegekraft nach der anderen. Nach dem Tod der Mutter ist der Vater, eh schon ein schwieriger, grantelnder alter Mann, noch unerträglicher für seine Umgebung geworden. Insbesondere Louisa tut sich schwer mit ihm: Zwischen den beiden hat es Nähe nie gegeben, und der Tod der Mutter hat alles noch schwieriger gemacht. Als Louisa bei einer Familienfeier eher zufällig erfährt, dass ihr Vater ein Adoptivkind ist, empört sie das so spät erst gelüftete Familiengeheimnis zutiefst. Zugleich weckt es ihre Neugier, der Geschichte des Vaters auf die Spur zu kommen.
Der historische Handlungsstrang hat ebenfalls eine Protagonistin, die junge Carole, Tochter des Bürgermeisters von Les Prés, einem kleinen Ort in der Nähe von Amiens. Während der Vater sich im Krieg den Deutschen andient, sympathisiert Carole mit der Résistance. Eine heikle Situation, denn in ihrem Haus ist Manfred Ziegler einquartiert, ein deutscher Offizier. Dass er kein typischer „boche“ ist, sondern ein feinfühliger, empfindsamer Mann, der zutiefst unglücklich ist über den Krieg und alles, was er mit sich bringt, macht es für Carole immer schwerer, ihre Gefühle für ihn zu unterdrücken. Am Ende werden sie, in aller Heimlichkeit, ein Paar. Dann wird Manfred an die Ostfront versetzt – und Carole stellt fest, dass sie schwanger ist…
Wie die zwei Handlungsstränge zusammenhängen, die Kerstin Lange geschickt nebeneinander herführt, lässt sich relativ schnell erahnen. Und so gewinnen wir als Leserin und Leser Einblick in ein wenig bekanntes Kapitel deutscher Geschichte: Es geht um die „Kinder der Schande“, Kriegskinder, die der „horizontalen Kollaboration“ zwischen französischen Frauen und deutschen Soldaten entstammten, und um deren Schicksal als ungeliebte, oft verstoßene und ausgegrenzte Kinder. Dass Louisas Vater so ist, wie er ist, gewinnt vor diesem Hintergrund eine ganz neue Dimension. Das Trauma der Kindheit wirkt fort bis ins hohe Alter, prägt eine ganze Familie und auch noch die nachwachsende Kindergeneration, wie die Geschichte Louisas nachdrücklich zeigt.
Kerstin Lange erzählt mit genauem Blick für die Abgründe ihrer Charaktere und deren emotionale Verwerfungen. Wie schwer es selbst zwischen Eltern und Kindern sein kann, unter der vertrauten Oberfläche den wahren Kern eines Menschen zu erkennen und die Bedingtheiten seiner Biografie auszuloten, beschreibt dieser ebenso spannende wie berührende Roman in eindringlicher Klarheit. Keine leichte Lesekost, aber so verpackt, dass man ihr gebannt bis zur letzten Seite folgt.
Rita Mielke
Kerstin Lange: Eine leise Ahnung von Glück. Tinte & Feder. 2024. 14,99 €