Manche Geschichten, die das Leben schrieb, sind so ungeheuerlich, dass sie niemals hätten erfunden werden können. So zum Beispiel die Geschichte des leidenschaftlichen Wettkampfs zwischen Hitler und Hermann Göring, wer von beiden die größeren und schöneren Kunstschätze im eigenen privaten Museum gesammelt hatte. Besonders begehrt: die großen niederländischen Meister. Kein Wunder also, dass der Oberbefehlshaber der deutschen Luftwaffe für einen bis dato völlig unbekannten Vermeer mal eben 1,75 Millionen Gulden zu zahlen bereit war. „Christus und die Ehebrecherin“ lautete der Titel des Gemäldes, das – anders als die bis dahin bekannten prominenten Vermeer-Bilder („Das Mädchen mit dem Perlenohrring“) aus einer unbekannten Serie mit Bibelmotiven stammen sollte und entsprechend als Sensation auf dem Kunstmarkt galt.
Das Dumme war nur: Der Vermeer war kein echtes Gemälde des niederländischen Großmeisters, sondern eine Fälschung, die dem wohl größten niederländischen Kunstfälscher des 20. Jahrhunderts, Han van Meegeren, zu verdanken war.
Rund um diese historisch verbürgte Geschichte hat der deutsch-niederländische Journalist und Autor Patrick van Odijk einen rasant erzählten und absolut lesenswerten Krimi geschrieben, bei dem er eine junge, ehrgeizige Journalistin, Meg van Hettema (eine fiktive Figur), in den frühen Nachkriegsjahren auf die Spur des Kunstfälschers setzt. Der heißt im Roman Jan van Aelst – und ist eine von Patrick van Odijk ungeheuer vielschichtig angelegte Figur. Daran darf und soll man sich als Leserin und Leser abarbeiten: Kann man ihn bewundern für seine Chuzpe, mit der er Nazigrößen und deren Vertraute an der Nase herumzuführen verstand? Oder muss man sein „Paktieren“ mit ihnen verwerflich finden? Patrick van Odijk beschreibt intensiv und kenntnisreich die turbulenten Nachkriegs-Verhältnisse bei unseren niederländischen Nachbarn, wo zwischen den Lagern der einstigen Widerständler und der Kollaborateure noch so manche Rechnung offen war. Ebenso akribisch und aufschlussreich erzählt er von den ausgeklügelten Methoden des Kunstfälschers, der nicht nur Göring, sondern auch renommierte internationale Kunstkritiker und Museumsdirektoren an der Nase herumzuführen verstand. Heute gelten die „van Meegeren-Vermeers“ als minderwertig und äußerst plump gefälscht. Dass der Kunstfälscher damit dennoch so erfolgreich war, zeugt davon, dass Liebe – auch oder gerade die zur Kunst – blind macht, wenn das Begehren nur groß genug ist.
Spannend bis zur letzten Seite, turbulent, vielschichtig, historisch detailliert und sauber recherchiert, rückt Patrick van Odijks Roman ein wenig bekanntes Kapitel deutsch-niederländischer Geschichte in den Fokus!
Ein Roman, der fünf Sterne verdient!
Rita Mielke
Patrick van Odijk: Der falsche Vermeer. Bielefeld: Pendragon. 2024. 520 S., 26,00 €