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„Seit Wochen vermisst: Herr oder Frau Sommer, strahlend, hitzig, attraktiv, früher regelmäßig Dauergast in unseren Breiten, in diesem Jahr offensichtlich auf der Strecke geblieben und bislang von allen Fahndern vergeblich gesucht…“
Im Ernst: Die diesjährige Sommerflaute drückt so manchem und mancher allmählich auf's Gemüt. Ändern lässt sich das leider nicht. Allenfalls kann man sich trösten, abtauchen in ferne, fremde, spannende Welten! Auch deshalb sind Krimis immer wieder die perfekte (Nicht-)Sommer-Lektüre!
Wir präsentieren Ihnen eine feine kleine Auswahl, wahlweise als Trostpflaster für trübe Tage oder Sahnehäubchen für sommerliche Ausreißer! Zusammengestellt von Rita Mielke
Graham Norton: Ein Ort für immer.
Hamburg: Kindler. 2024. 382 S., 25,00 €
Gut hundert Seiten lang liest man diesen Roman wie eine dramatische Familiengeschichte: Carol, in einer irischen Kleinstadt zu Hause, hat spät im Leben noch einmal neues Liebesglück gefunden, Declan, einen wesentlich älteren Mann, der allerdings schon nach wenigen Jahren erkrankt und in ein Pflegeheim gebracht werden muss. Seine beiden erwachsenen Kinder, Carol in herzlicher Abneigung verbunden, sorgen sich um das Erbe und setzen alles daran, Carol aus dem elterlichen Haus zu vertreiben. Als diese, dank einer List, in das Haus zurückkehren kann, stößt sie – in einer Gefriertruhe hinter einer provisorisch gemauerten Wand – auf eine Leiche. Wer aber könnte der oder die Tote sein? Graham Norton ist ein grandioser Erzähler, der es bestens versteht, seine Protagonisten mit all ihren Abgründen, die Kleinstadt mit ihrem skurrilen Personal und eine hoch spannende Krimihandlung zu einer komplexen Geschichte mit immer neuen, unerwarteten Wendungen zu verweben. Ein Roman, der leiser, subtiler, vielschichtiger ist als viele andere„klassische” Krimis – und gerade das macht ihn besonders lesenswert.
Seishi Yokomizo: Das Dorf der acht Gräber.
Berlin: Blumenbar. 2024. 399 S., 22,00 €
Erst in jüngster Zeit rückt die japanische Krimiliteratur verstärkt in den Fokus auch westlicher Krimifans. Dass dort so mancher Schatz zu heben ist, beweisen etwa die Krimis von Seishi Yokomizo (1902-1981), einem der in Japan erfolgreichsten Krimiautoren, der in seinen Romanen in entlegene japanische Regionen entführt und dortige Alltagskultur eindringlich vergegenwärtigt. Über dem titelgebenden „Dorf der acht Gräber“ scheint ein Fluch zu liegen, seit es dort ein schreckliches Massaker gegeben hat: Einer der reichsten Dorfbewohner war dort Amok gelaufen und hatte in seinem Wahn 32 Menschen getötet, bevor er in die Berge lief und auf immer verschwand. Die eigentliche Geschichte, im Jahr 1949 beginnend, führt zunächst nach Kobe, denn dort lebt Tatsuya, ein junger Mann, der früh seine Mutter und seinen Stiefvater verloren hat. Nach dem öffentlichen Aufruf eines Notars erfährt er, dass er angeblich Verwandte in Acht Gräber hat, die ihm ihr Anwesen vererben möchten. Er reist in das entlegene Dorf, in dem es plötzlich zu geheimnisvollen Todesfällen kommt. Ein mysteriöser, vertrackter Fall für Privatdetektiv Kosuke Kindaichi, den zerzausten und ein bisschen zerstreuten Privatdetektiv (Columbo lässt grüßen!).
Frauke Buchholz: Skalpjagd. Bielefeld: Pendragon. 2024. 264 S., 18,00 €
Frauke Buchholz lebt in der Nähe von Aachen. Viele Reisen haben sie in die USA und nach Kanada geführt, wo sie vor allem enge Kontakte zu indigenen Gemeinschaften aufgebaut (und darüber u.a. auch eine Dissertation verfasst) hat. Von ihrer Liebe zu dem Land und der Kultur der Ureinwohner zeugen ihre atmosphärisch ungeheuer intensiven Kriminalromane. In „Skalpjagd“ begegnen wir dem kanadischen Profiler Ted Garner, der nach einer für ihn beinahe tödlichen Ermittlung beschlossen hat, den Polizeidienst zu verlassen und als Psychotherapeut zu arbeiten. Auf einem Kongress in Vancouver lernt er die österreichische Therapeutin Susanne Hofstätter kennen und lässt sich von ihr überreden, an der nächtlichen Zeremonie einer indigenen Gruppe teilzunehmen – mit fatalen Folgen: Denn am Morgen danach findet er sich allein in einem Tipi wieder, neben ihm die skalpierte Kollegin…. Statt seine früheren Kollegen zu informieren, beginnt Garner, auf eigene Faust zu ermitteln…. Mit großem Einfühlungsvermögen und umfassendem Hintergrundwissen thematisiert Frauke Buchholz in ihrem Krimi das schwierige Mit- und Gegeneinander von Indigenen und Weißen und lässt uns dabei eintauchen in eine faszinierend fremde Welt. Ein exzellent gespannter Spannungsbogen und ein perfekter „Showdown“ zum Schluss garantieren hervorragenden Lesegenuss.
Ian Moore: Mord & Croissants.
Berlin: Rowohlt. 2023. 304 S., 14,00 €
Erfrischende Urlaubslektüre für alle, die gern einmal einen „cozy crime“ zur Hand nehmen: Ian Moore, erfolgreicher britischer Comedian mit Zweitdomizil an der Loire, präsentiert in diesem Roman mit Richard ein Alter Ego, der ebenfalls die Insel verlassen und im Loiretal eine kleine Pension aufgebaut hat. Es geht beschaulich und friedlich zu, bis eines Tages Monsieur Grandchamps, einer von Richards Gästen, verschwindet und nur einen blutigen Handabdruck zurücklässt. Kurz darauf wird auch noch eine von Richards geliebten Hennen erhängt. Und Richard gerät unfreiwillig mitten hinein in abenteuerliche Ermittlungen, zu denen ihn vor allem ein weiterer Pensionsgast, Valérie d'Orcay, anstachelt. Dass Ian Moore ein Herz für Tiere hat, dass er ein Kenner der Loire ist und Spaß an schrägen Dialogen und skurrilen Figuren hat, gibt diesem Krimi die besondere Note und ein wahrhaft sommerliches Flair.