An Denis Scheck führt im deutschen Literaturbetrieb kein Weg vorbei. Diese Position hat er sich über viele Jahre systematisch und mit verlässlichem Provokationspotential aufgebaut. Nicht zuletzt sind es die Kommentare zu der jeweiligen Bestsellerliste, die ihn bekannt gemacht haben: Wer außer ihm würde sich trauen, ein Buch hochkant in die Mülltonne oder auf die abwärts in den Orkus des Schunds führende Rampe zu werfen? In seinem neuesten Buch „Schecks Bestsellerbibel“ blickt der Kölner Journalist auf die ursprünglich vom Spiegel initiierten, heute vom Magazin Buchmarkt betreuten Bestsellerlisten der vergangenen zwanzig Jahre zurück. Seine häufig boshaften, zuweilen vernichtenden, immer wieder aber auch euphorischen Kurz-Rezensionen zu Romanen und Sachbüchern, lassen das Herz von Büchermenschen höherschlagen: nicht unbedingt, weil man jedes seiner Urteile teilt. Aber die Pointiertheit seiner Sprache, die offensichtliche Lust an Wortspielen und Metaphern allein macht die Lektüre zum Vergnügen. Darüber hinaus lohnt es sich, darüber nachzudenken, welche der Titel sich auch nach zehn oder zwanzig Jahren noch in unserem Lese-.Bewusstsein erhalten haben, und welche offensichtlich doch nur „Eintagsfliegen“ waren. Begleitet werden die einzelnen Monatslisten von Kapiteln, in denen Denis Scheck kluge und bedenkenswerte Fragen thematisiert, die für jeden Literaturinteressierten ebenfalls aufschlussreich zu lesen sind. „Lesen Bücher ihre Leser?" lautet eine solche Frage oder auch „Leben Lesende länger? und: „Warum sind so viele Bücher Krimis?" Immer wieder geht es um die Grundfrage, was literarische „Schätze“ und was „Schund“ ist – und wie man die einen von den anderen unterscheiden lernt. Als Motto hat Denis Scheck einen nachdenklich stimmenden Satz der amerikanischen Schriftstellerin Flannery O`Connor vorangestellt: „Viele Bestseller hätten durch gute Lehrer verhindert werden können.“ Scheck selbst liefert gleich zu Beginn des Buches die „zehn Gebote des Lesens“. Erstes Gebot: „Lesen Sie skeptisch. Trainieren Sie Ihr Gespür für den Unterschied zwischen Brillanz und Blödsinn.“
Zum beachtlichen Unterhaltungswert des Buches tragen nicht zuletzt die Anekdoten bei, die Denis Scheck an passender Stelle immer wieder in seine Ausführungen einfließen lässt. Zum Beispiel die über den Bestsellerautor und Juristen Ferdinand von Schirach: Der schaltete während des Corona-Lockdowns zum ersten Mal in 15 Jahren seinen Herd ein. Daraufhin verbreitete sich ein übler Gestank nach Plastik in der Wohnung: In all den Jahren hatte niemand die Transportsicherungen unter den Herdplatten entfernt!
Wer nicht nur Bücher liebt, sondern auch das Drumherum des Literaturbetriebs mit all seinen Höhen und Tiefen, wird an der Lektüre dieses opulenten – und ausgesprochen schön gestalteten – Buches seine helle Freude haben. Ob man Denis Schecks‘ Urteile in jedem Fall teilen mag, darüber kann man sicher trefflich streiten. Eine Anregung zum Nach-Lesen und Wiederentdecken so manchen Buches sind sie in jedem Fall.
Rita Mielke
Schecks Besteller Bibel. Schätze und Schund aus 20 Jahren. München: Piper. 2024. 430 S., 28,00 €