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Der Frühling kann kommen – und mit ihm kommen – hoffentlich - Licht und Wärme! Die sorgen dann auch für ein neues Lebens- und Lesegefühl – vielleicht, in warme Decken gemummelt, sogar schon auf dem Balkon oder in einer windgeschützten Terrassenecke. Und was sollte man dort lesen? Hier einige Buchtipps mit Frühlings-Empfehlung von Rita Mielke:
Thomas Knüwer: Das Haus, in dem Gudelia stirbt.
Bielefeld: Pendragon. 2024. 290 S., 20 €
Es ist sein erster (Kriminal-)Roman – und er hat damit gleich den Krimi-Olymp erobert: Thomas Knüwer hat für „Das Haus, in dem Gudelia stirbt“ den Deutschen Krimipreis 2024 erhalten! Völlig zu Recht, denn dieser Roman ist so gewieft erzählt, so geschickt komponiert und mit einer so grandiosen Protagonistin ausgestattet worden, dass man nur staunend und begeistert Seite um Seite weiterblättert. Knüwers Roman ist auf drei Zeitebenen angesiedelt: Die aktuelle spielt in dem kleinen süddeutschen Dorf Unterlingen, das gerade von einer Hochwasserkatastrophe ungekannten Ausmaßes heimgesucht wird. Alle Dorfbewohner haben den Ort verlassen, bis auf eine, die 81-jährige Gudelia, die in ihrer Wohnung ausharrt. Nicht einmal die beiden gefesselten Leichen, die an ihrem Haus vorbeitreiben, können sie umstimmen. Zu viel verbindet sie mit dem Ort und mit ihrem Haus: Dort hat sie schon, zweite Zeitebene, 1984 gelebt, als ihr Sohn ermordet wurde; ebenso 1998, dritte Zeitebene, als sie sich von ihrem Mann trennte. Zudem gibt es da ein Geheimnis, das sie um jeden Preis bewahren will… Ohne Frage ein hochliterarischer Krimi – und alles andere als Alltagskost!
Tommie Goerz: Im Schnee.
München: Piper. 2025. 175 S., 22 €
Der Titel klingt nach Winterbuch – aber eigentlich entführt Tommie Goerz uns mit großer Empathie und einer stillen, feinen Sprache in eine Dorfgemeinschaft im Fränkischen, in der die Welt – unter einer dichten, durchaus symbolisch zu verstehenden Schneedecke - stillzustehen scheint. Das Totenglöckchen läutet – und ruft zur Totenwacht für den betagten Schorch. Auch Max, aus dessen Sicht das Buch erzählt wird, wacht eine Nacht lang mit den anderen Männern des Dorfes bei seinem besten Freund – der in einer anderen Umgebung und einer anderen Zeit für ihn vielleicht mehr hätte sein können. Max‘ Erinnerungen lassen das Leben in der Dorfgemeinschaft lebendig werden, in der an Riten und Traditionen festgehalten wird und Zugezogene auch nach Jahren noch Fremde sind. Das Schweigen hat viel Raum in diesem Leben – und mal ist es eisig, mal wohltuend, weil eben nicht alles zerredet wird. Tommie Goerz kleiner großer Roman zeugt von berührender Herzenswärme und Menschlichkeit, es geht nicht um Idealisierung, auch nicht um Anklage – eher darum, eine (fast) vergangene Welt noch einmal ins Bild zu holen, eine Welt, die all denen vertraut ist, die selbst ländlich-dörflich aufgewachsen sind. Unbedingte Leseempfehlung!
Julie von Kessel: Die andern sind das weite Meer.
München: Eisele. 2024. 335 S., 23 €
Familie heute – das ist ein weites Feld: So sieht es auch die ZDF-Journalistin und Autorin Julie von Kessel, die in ihrem neuen Roman auf eine alles andere als „heile“ Familie schaut: Aus wechselnden Perspektiven lernen wir kennen: den Vater Hans, der in Bonn lebt und an einer fortschreitenden Demenz leidet; den Sohn Tom, der in Berlin eine psychiatrische Klinik leitet und Männer liebt; Luka, die als Kriegsreporterin arbeitet, und Elena, die wie ihre verstorbene Mutter an Brustkrebs erkrankt ist. Es wird Vieles (tot-)geschwiegen unter den Beteiligten. Das ändert sich erst, als, nicht zuletzt durch das Verschwinden des Vaters, die Geschwister wieder engeren Kontakt zueinander finden (müssen). In all den Lebenslügen und neurotischen Fluchtversuchen entsteht etwas, das auf ganz unterschiedliche Art für die Geschwister einen Lichtstreif am getrübten familiären Horizont bietet. Ein sehr lesenswertes und in seiner schnörkellosen Differenziertheit ausgesprochen bedenkenswertes Buch.
Mascha Kaléko: Feine Pflänzchen.
München: dtv. 2023. 80 S., 12 €
Vor fünfzig Jahren ist Mascha Kaléko verstorben. Da war sie eine weitgehend Vergessene. Jetzt wird ihr wunderbares lyrisches Schaffen wiederentdeckt. Denn ihr Witz, ihre pointierte Sprache, auch ihre Melancholie und Tiefgründigkeit haben in der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts einen absolut einzigartigen „Sound“ geschaffen. Was sie und wie sie, die aus einer ostjüdischen Tradition kam und in Berlin bis zu ihrer Emigration 1938 lebte, über den Alltag und die Menschen, über private und politische Tragödien, über alle Gefühls- und Stimmungslagen schrieb, ist so zeitlos bedenkenswert, dass es zum „Immer-wieder-Lesen“ einlädt. Zum Beispiel die kleinen Miniaturen, der der so hübsch gestaltete Band über „Feine Pflänzchen“ bereithält: Ob Schneeglöckchen oder Amaryllis, Kartoffeln oder Spargel oder Küchenkräuter: Mascha Kaléko hat sich auf alles ihren ganz eigenen Reim gemacht. „Feine Pflänzchen“ sind eine perfekte kleine Gabe – für den eigenen Büchertisch oder – statt Blumen – für gute Freundinnen und Freunde.