An Thomas Mann, dem Grandseigneur der deutschen Literatur, führt in diesem Jubiläums-Jahr kein Weg vorbei. Zum 150. Geburtstag einer der prägenden Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts sind nicht nur alle großen Romane und Erzählungen in teilweise opulenten Neuausgaben erhältlich. Auch Kriminalromane lassen ihn als Protagonisten auftreten (Tilo Eckardt: Gefährliche Betrachtungen Bd.1; Unheimliche Gesellschaft Bd.2) In anderen Romanen werden einzelne Abschnitte seines Lebens beleuchtet und aufgearbeitet – (z.B. Kerstin Holzer „Thomas Mann macht Ferien“ – Lesung in Korschenbroich im Juli; Florian Illies „Wenn die Sonne untergeht. Familie Mann in Sanary“ – erscheint im Oktober).
Für die kleine Mann-Lektüre zwischendurch sei allen Mann-Fans und denen, die es noch werden wollen, das Handtaschen-Bändchen „Mit Thomas Mann durch das Jahr“ empfohlen: In diesem Band hat der Herausgeber Felix Lindner aus den Tagebüchern, den „Tagesrechenschaften“, wie Mann selbst sie nannte, für jeden Tag eines Jahres ganz kurze Passagen, zuweilen nur einzelne Sätze ausgewählt, die den großen Literaturnobelpreisträger von einer zutiefst menschlichen Seite zeigen: Ob Magenverstimmung oder Kater, Schreibhemmung oder Verdauungsprobleme: Nichts Menschliches war dem Dichter fremd und nichts war ihm zu belanglos, als dass er es nicht in seinen Aufzeichnungen vermerkt hätte: „Auch leide ich seelisch und körperlich darunter, dass No.4 aller Unterkleider mir zu klein, No. 5 mir zu groß ist“, heißt es etwa unter dem Datum des 20.11.1921. Und am 5.5.1920 notiert er: „Keine Lust am Gedanken und keine Fähigkeit dazu.“ Die kurzen Reflexionen laden nicht selten zum Schmunzeln ein, sie stoßen den großen Dichter keineswegs von seinem Thron, aber zeigen ihn von einer sympathisch menschlichen Seite.
Eine ganz anders gelagerte Revision des gängigen Mann-Bildes liefert Kai Sina in seinem akribisch recherchierten Buch über Thomas Mann als „politischen Aktivisten“. Der vergeistigte und elitäre Verfasser der Josephs-Romane oder des „Zauberbergs“, weit weg vom Weltgeschehen – so war lange das vorherrschende Bild. Aber dieses Bild war unvollständig. Denn Thomas Mann verfolgte die politischen Entwicklungen vor allem in seinem Heimatland mit Leidenschaft, mit wachsender Besorgnis und mit dem festen Willen, alles in seiner Macht Stehende zu tun, um vor den Gefahren und der Katastrophe des Dritten Reiches zu warnen. Aus dem Exil in Kalifornien heraus, wo er zu einer Art Galionsfigur der deutschen und europäischen Intellektuellen aufstieg, hat er etwa mit hohem technischen Aufwand 59 Rundfunkreden („Deutsche Hörer!“) produziert, die über die englische BBC in Deutschland zugänglich waren. Darin machte er keinen Hehl aus seinem Hass und seiner Verachtung für das Nazi-Regime. Vor allem jedoch appellierte er immer wieder an jeden einzelnen, Politik nicht als etwas zu Erleidendes zu begreifen, sondern sie - im Kleinen wie im Großen - selbst in die Hand zu nehmen. Nicht zuletzt darin liegen der Wert und die Aktualität des „homo politicus“ Thomas Mann, mit dem sich zu beschäftigen in hohem Maße anregend und nachdenklich stimmt.
Rita Mielke
Felix Lindner (Hrsg.): Mit Thomas Mann durch das Jahr. Frankfurt/M.: Fischer, 2025. 432 S., 16,00 €
Kai Sina: Was gut ist und was böse. Thomas Mann als politischer Aktivist. Berlin, 2024. 296 S., 24,00 €