Die frühen Nachkriegsjahre sind aktuell für viele Enkel-Autoren und –Autorinnen ein spannendes Thema, dem sie sich aus der Distanz einer nachfahrenden Generation nüchterner, weil weniger emotionsbeladen als die eigentlichen Kriegsgenerationen, nähern können. Ein spannendes Beispiel liefert jetzt die in Alpen geborene und in Bonn aufgewachsene Michaela Küpper mit ihrem neuen Roman „Kaltenbruch“. Darin erzählt sie von einem kleinen Dorf, irgendwo im Rheinland, unweit von Düsseldorf. Dorthin wurde Kommissar Peter Hoffmann wegen einer vorlauten Bemerkung zur braunen Vergangenheit seines Chefs strafversetzt. Die Hoffnung, von dort schnellstmöglich wieder wegzukommen, zerschlägt sich, als in dem kleinen Dorf an einem Verkaufsstand für Erdbeeren ein 17-jähriger Junge heimtückisch und brutal mit einer Axt ermordet aufgefunden wird und kurze Zeit später ein zweiter Mord geschieht. Die im weiteren Verlauf erzählte Geschichte der Mordermittlungen, bei der Kommissar Hoffmann tatkräftige Unterstützung von seiner neuen „Schreibkraft“ Lisbeth Pfau erhält, liefert Michaela Küpper dabei nur das Gerüst für ein ebenso eindringliches wie beklemmendes Porträt der dörflichen Strukturen mit all ihren sozialen Brüchen und Verwerfungen. Denn zur Dorfgemeinschaft gehören kriegsbedingt längst nicht mehr nur die alteingesessenen Familien, sondern auch die Flüchtlinge, die es zumeist aus dem Osten und nach der Vertreibung aus ihrer Heimat unfreiwillig ins Rheinland verschlagen hat.
„Die Flüchtlinge und die Kartoffelkäfer, die werden wir nie wieder los“: So oder so ähnlich, hat Michaela Küpper in einem Interview erzählt, hätten sich viele Menschen im Westen seinerzeit geäußert, wenn sie, selbst vom Krieg gebeutelt und Not leidend, auch noch Schlesier oder „Polacken“ aufnehmen sollten. Aus wechselnden Erzählperspektiven und mit minutiöser Tiefenschärfe seziert Michaela Küpper Misstrauen und Argwohn, Befindlichkeiten und Begehrlichkeiten, Neid, Zorn und Wut, aber auch Trauer, Schmerz und Angst sowie Gefühle von Heimatverlust und Entwurzelung unter denjenigen, die letztlich alle auf die eine oder andere Art vom Krieg ‚Beschädigte‘ waren: Das Thema der Traumatisierung, gerade der Kinder, hat dabei einen besonderen Stellenwert in diesem Roman. Und hier offenbart das Buch auch seine tatsächliche Stärke, hinter der die Lösung des eigentlichen Kriminalfalls fast zurücktritt.
In Zeiten wie den jetzigen, in denen das Thema Migration und der Umgang mit Flüchtlingen hierzulande so nachhaltig die gesellschaftliche Diskussion bestimmt, liefert Michaela Küppers Roman „Kaltenbruch“ einen nachdenklich stimmenden Spiegel: Die Zeiten sind andere, aber was unter der Oberfläche vermeintlich zivilisierten Miteinanders damals wie heute schlummert, ähnelt sich zuweilen in beklemmender Weise.
Rita Mielke
Michaela Küpper: Kaltenbruch. München: Droemer. 2018. 364 S., 19,99 Euro