Wer regelmäßig mit der Deutschen Bahn verkehrt, dem ist mit Sicherheit so manche Schauergeschichte bekannt. Wobei man, ehrlich gesagt, wahrscheinlich noch nicht mal selber in den Genuss gekommen sein muss, um aus dem Umfeld oder den Medien über unzumutbare Unpünktlichkeiten oder Klimaanlagenausfälle bei 40 Grad Außentemperatur abgeschreckt zu sein. So sollte man als Bahn-Pendler zumindest daran gewöhnt sein, immer eine Stunde zusätzlich einzuplanen, bisweilen den Platz mit merkwürdig riechenden Gestalten zu teilen und von lärmenden Jugendlichen belästigt zu werden.
Der nächste echte Härtefall ereilte mich erst vor zwei Wochen: Eigentlich sollte man ja meinen, dass man nach jahrelanger Bahnfahrerei aus seinen Fehlern gelernt hat und dass beim kleinsten Anzeichen eines Sturms oder Gewitters die eigenen Alarmglocken schrillen sollten – so zumindest in der Theorie. In der Praxis hielt mich allerdings auch die ausgewachsene Sturmwarnung vor „Friederike“ nicht davon ab, mich seelenruhig und nichts Böses ahnend in den Zug zu setzen. War ja eigentlich klar, dass ich das schnell bereuen sollte. Nicht mal drei Minuten waren wir unterwegs, als dieser Zug plötzlich anhielt. So weit, so gut. Als wir uns dann aber wieder in Bewegung setzten, rumpelte und rappelte es plötzlich gewaltig, gefolgt von einem kurzen, aber gleißend hellen Blitz. Selbst mir als Laien war sofort klar: „Um 10 Uhr in Köln sein, das wird heute nichts.“ Der Zugführer ließ nicht lange auf sich warten: „Sehr geehrte Gäste, wir sind über einen Baum gefahren und haben die Oberleitung abgerissen.“ Mehr als zwei Stunden saßen wir letztendlich im Zug fest, mehr als eine Stunde danach am nächstgelegenen Bahnhof, denn inzwischen war der Bahnverkehr im ganzen Bundesland eingestellt worden – wie gesagt, als Pendler hätte man vorher drauf kommen können.
Missen möchte ich es im Nachhinein aber trotzdem nicht, denn das bunte Treiben, das sich in diesen zwei Stunden im Abteil abspielte, war Unterhaltung pur. Los ging es mit einer Kette unzähliger Telefonanrufe, denn schließlich mussten über Arbeitgeber – was ja noch verständlich ist –, Schwiegereltern bis hin zu den Haustieren scheinbar alle näheren und entfernteren Angehörigen der Insassen über die unbestimmte Verspätung informiert werden. Und während sich draußen allen ernstes ein Kamerateam aufstellte, um spektakuläre Aufnahmen des stehenden Zuges einzufangen, wurden drinnen gleichzeitig die wildesten Theorien gesponnen. Der eine war sich sicher, dass der Zug entgleist war, ein anderer wusste, dass wir alle gleich evakuiert werden und ein Dritter war davon überzeugt, dass die Fahrt in fünf Minuten weitergehe. Hier trieb ein junges Mädchen die Umsitzenden mit nervtötender, lauter Handymusik fast in den Wahnsinn, dort brauchte eine Frau plötzlich unbedingt eine Decke, weil es in den stehenden Zug viel zu kalt geworden sei (zur Info: Die Heizung funktionierte weiterhin tadellos).
Zum Schluss gab es übrigens ein Happy End. Als schließlich alles repariert war und wir den nächsten Bahnhof erreicht hatten und dort keine Taxen in Sicht waren, fanden sich untereinander schnell Fahrgemeinschaften, um alle Leute wieder nach Hause zu bringen. Eine wildfremde Frau bot an, mich mit zurück zum Startbahnhof zu nehmen. Am Ende saßen wir schließlich alle im gleichen Boot. Beziehungsweise Zug.
Christos Pasvantis